Der Emigrant (1933-1952)

Was anfangs wie ein unfreiwilliger Sommerurlaub in Sanary-sur-Mer wirkte, das unterdessen zum Künstlerrefugium avanciert war, sollte zum Dauerzustand werden: die Emigration, das Reisen, das Kofferpacken. Mann, dem 1936 die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt werden sollte, zog es in die Schweiz, an den Zürichsee. In Küstnacht quartierte er sich für die kommenden fünf Jahre mit seiner Familie ein. Die Jüngsten gingen dort zur Schule, die Ältesten waren oft zu Gast; Golo versuchte sich als Lehrer in Frankreich, Erika betrieb das berühmte Kabarett ‚Die Pfeffermühle'. Zürich wurde zu einem Zentrum exilierter deutscher Intellektueller - und den Manns ging es hierbei nicht schlecht.

Es sollte bis zum Jahr 1936 dauern, als Thomas Mann auch die Ehrendoktorwürde der Bonner Universität aberkannt wurde, bis er die letzte Hoffnung fahren ließ, dieses Deutschland würde sich in nächster Zukunft vom Spuk des Nationalsozialismus erholen. Nach Meinung seiner Kinder Klaus und Erika hatte er auch dem Verleger Bermann Fischer zu lange mit dem Argument, seine Bücher sollten auch in Nazi-Deutschland weiterhin ihre Wirkung entfalten können, die Treue gehalten. Während die Kinder schon längst in Wort und Tat als Antifaschisten hervorgetreten waren, ließ auch Thomas Mann es nun nicht mehr an Deutlichkeit missen: Das Deutschland Hitlers, war nicht mehr sein Land oder: "Wo ich bin, da ist Deutschland".

Thomas Mann galt neben Albert Einstein als einer der berühmtesten Emigranten, und auch er traute dem Frieden der gefährdeten Schweiz nicht mehr und nahm ein verlockendes Angebot aus den USA an: Er wurde Gastprofessor in Princeton, kam dort in beste Kreise und bewunderte die offene Gesellschaft der Vereinigten Staaten unter der Präsidentschaft von Franklin D. Roosevelt, mit dem er persönlich bekannt war. Im Jahr 1940 gelang es Golo und dem Bruder Heinrich via Spanien aus Europa zu fliehen; auch Erika und Klaus hielten sich häufig im Elternhaus auf. Im Jahr 1941 zog Thomas Mann an die milden Ufer des Pazifik. Ein Jahr später baute er ein großzügiges, modernes Haus in Pacific Palisades bei Los Angeles, wo sich zahlreiche Emigranten wie Theodor W. Adorno oder Max Horkheimer aufhielten.

Die Zeit der Emigration war für Mann eine Phase großer Produktivität, Anerkennung und Erfolge. Auch wenn Lotte in Weimar sicher kein Bestseller war, hatte Thomas Mann mit diesem Roman einen Anspruch bekräftigt: Sich an den Klassiker Goethe wagen heißt, es mit ihm aufnehmen zu wollen. Mann erfreute sich bester politischer Kontakte, wusste Mäzene wie Agnes E. Meyer auf seiner Seite. Im privaten Rückzugsraum seines Anwesens, das durch die Kinder von Michael, Frido und Toni, noch lebendiger wurde, beendete er 1942 sein biblisches Romanprojekt mit Joseph, der Ernährer. Mann lebte allerdings nicht zurückgezogen, sondern entfaltete eine rege politische Publizistik und in seinen monatlichen Rundfunkansprachen in der BBC ließ er es an Deutlichkeit Nazideutschlands gegenüber nicht missen. Erika, Klaus und Golo meldeten sich zur Army - Thomas und Katia Mann waren stolz darauf, die Kinder in dieser Uniform zu sehen. Im Jahr 1944 erhielten die Manns die amerikanische Staatsbürgerschaft. Klaus Mann berichtete von seinen Erfahrungen in Italien und im zerstörten Deutschland des Jahres 1945, Golo arbeitete am Wiederaufbau des Rundfunks in Frankfurt mit. Sollte Thomas Mann nun nach Deutschland zurückkehren wie dies zuweilen mit polemischem Unterton gefordert wurde? Zu tief saß nicht nur bei Erika das Misstrauen gegenüber demjenigen Deutschland, das noch von den Alliierten gebändigt werden musste und in dem die Nationalsozialisten und ihre Mitläufer zu häufig davon kamen. Sehr vorsichtig und kurz sind deshalb die ersten Stippvisiten auf westdeutsches Territorium.

Im Jahr 1949 feierte Europa den 200. Geburtstag Goethes. Mann als einer der bekanntesten Autoren deutscher Zunge wurde mit Einladungen zu Feierlichkeiten überhäuft, er nahm lediglich den Frankfurter Goethepreis an sowie kurz darauf ein Weimarer Pendant. Leicht ist ihm die Entscheidung, nach Frankfurt zu fahren, nicht gefallen, besonders weil bereits wieder heftig gegen den Emigranten Thomas Mann polemisiert wurde, der den Krieg von den bequemen Rängen seines kalifornischen Exils beobachtet habe und der die deutschen Befindlichkeiten nicht kenne. Mann kam trotzdem, Eitelkeit lag ihm nicht fern, und auch der Freitod von Klaus veranlasste ihn nicht, seine Reisepläne - er befand sich in Schweden - zu ändern. Dass er auch das in der sowjetischen Zone gelegene Weimar besuchen musste, schien ihm selbstverständlich und war taktisch klug, denn er spekulierte darauf, unter seinem Werk und mit seiner Person ganz Deutschland vereint zu wissen. Das Verhältnis zu Heinrich Mann wurde in diesen Jahren enger, zumal dieser zeitweise auf die Hilfe des Bruders angewiesen war. Nachdem dieser zum Präsidenten der Akademie der Künste gewählt worden war, verstarb er 1950, noch bevor er die Reise antreten konnte.

Die Manns blieben eine politische Familie, auch in den USA, wo der Antikommunismus des Senators McCarthy grassierte und alle links-liberalen Emigranten unter Verdacht standen, subversive Aktivitäten zu entwickeln. Thomas Mann fühlte nach sich verstärkt nach Europa hingezogen, erinnerte die angenehme Atmosphäre der Stadt Zürich. Nachdem er am 1. Juli 1952 auf dem Zürcher Flughafen eingetroffen war, was seine Rückkehr nach Europa besiegelte, sollte er die USA nie wieder aufsuchen. Ein deutschsprachiger Schriftsteller war heimgekehrt - allerdings nicht in das Land, das ihn einst ausgebürgert und seine Schriften verboten hatte.